Eckartschrift 198:
Deutsche Volksgruppen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa
Peter Wassertheurer: Deutsche Volksgruppen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa. Ihre Lage im Spiegel der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Eckartschrift 198, 112 Seiten zahlreiche Landkarten und Bilder. Das Friedensdiktat von Saint-Germain hatte zur Abtrennung von sechs Millionen Deutschen aus dem österreichischen Staatsverband geführt, die unter Missachtung des Selbstbestimmungsrechts als nationale Minderheiten in den Grenzen der neuen nichtdeutschen Nationalstaaten leben mussten. Obwohl sich diese vertraglich zum Schutz ihrer Minderheiten verpflichtet hatten, wurden die Minderheiten nach dem Prinzip der Beherrschung behandelt, was eine radikale Assimilationspolitik in Gang setzte, die in einem ersten Schritt die fortschreitende Ausmerzung des deutschen Elements aus dem öffentlichen Raum beabsichtigte. Der nächste Eingriff in das wirtschaftliche Sozialgefüge der deutschen Volksgruppen betraf Besitztümer und die natürlichen Vorräte. Stärker wirkte sich mancherorts der wirtschaftliche Protektionismus der neuen Regime aus. So wurden in der Tschechoslowakei tschechische Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen eindeutig gegenüber den sudetendeutschen bevorzugt, was in den Jahren der Weltwirtschaftskrise den Niedergang ganzer Industriezweige (Instrumentenbau, Glasverarbeitung, Textilindustrie) im Sudetenland noch zusätzlich beschleunigte. Die Folgen waren Massenarbeitslosigkeit und eine soziale Verelendung ganzer Gesellschaftsschichten. Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre führte nicht nur in den Ländern der böhmischen Krone zu einer Auswanderungswelle, betroffen waren auch die Deutschen in der Gottschee, in Siebenbürgen sowie das Deutschtum in Ungarn, das sich nach Trianon auf den zentralpannonischen Raum und den Großraum Budapest konzentrierte. Gleicht man die letzte Volkszählung unter monarchischen Verhältnissen von 1910 mit den Ergebnissen der späteren Volkszählungen nach 1918 ab, lassen sich regionalspezifische Verschiebungen zeigen, deren Ursachen in der Nationalisierungspolitik der Nachfolgestaaten der k.u.k. Monarchie zu suchen sind. Da 1910 nach dem Kriterium „Umgangssprache“ gefragt wurde, das nicht zwingend mit dem Bekenntnis zur nationalen Zugehörigkeit zusammenfallen musste, kam es nach 1918 zwischen deutscher und slawischer Seite zu heftigsten Kontroversen, weil die neuen Regime in den Nachfolgestaaten die Ergebnisse anzweifelten. In der cisleithanischen (österreichischen) Hälfte gaben von den 27,963.872 Staatsbürgern 9,950.266 (35,6%) Deutsch als Muttersprache an. In Transleithanien (ungarische Reichshälfte) waren es von den 20,886.487 Einwohnern 2,037.435 (die Deutsch als Muttersprache angaben). Zieht man von beiden Zahlen die Bevölkerung der Republik Deutsch-Österreich ab, ergibt das eine Anzahl von sechs Millionen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die 1918 der Tschechoslowakei, dem Staat der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS), Italien, Ungarn und Rumänien zufielen. Wer das Schicksal der deutschen Volksgruppen Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas seit der Wende von 1989 verstehen möchte, muss deren gesamte Geschichte im 20. Jahrhundert berücksichtigen, weil sich ihre aktuellen sozialen, politischen, demographischen, kulturellen, geistigen und wirtschaftlichen Zustände nur unter Berücksichtigung der Ereignissen der Jahrzehnte davor richtig begreifen lassen. Dass die Mutterländer der deutschen Volksgruppen – trotz der deutlich geringeren Zahlen – auch heute noch Verantwortung für diese Menschen haben, ist nicht überall bekannt. Die Volksgruppen haben jahrzehntelang wertvolle Einflüsse zur Urheimat gehabt: Politiker, Künstler, Wissenschafter, Dichter, Soldaten u. v. a andere haben uns bereichert; es liegt an uns allen, uns dessen zu erinnern und Dank nicht nur in hohlen Worten zurückzuerstatten, sondern geistig-emotional und wirtschaftlich mitzuhelfen, dass die deutschen Volksgruppen und Sprachinseln weiterhin einen Bestand haben.
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